„Journalisten fragen, Politiker antworten“, hieß es von 1952 bis 1987 bei Werners Höfers „Internationalem Frühschoppen“, der legendären Diskussionsrunde des Westdeutsche Rundfunks, die immer Sonntags im Deutschen Fernsehen (heute: Das Erste) ausgestrahlt wurde. Beim ersten JETS-Panel des Jahres 2022 müsste die Überschrift lauten: „Journalisten und Filmemacher fragen, Weltvertriebe und Filmförderer antworten“. Ich hatte die Ehre, die Veranstaltung, bei der es hoch herging, zu moderieren. Die Liste der Panelisten war hochkarätig: Bei den Filmförderungsanstalten waren Stephanie Marschner (HessenFilm, Deutschland), Francesca Accinelli (Telefilm Canada), Onke Dumeko (nfvf , Südafrika), Jochen Coldewey (nordmedia, Deutschland) und erstmals Roland Teichmann vom ÖFI (Österreichisches Filmintitut) vertreten. Für die Weltvertriebe sprachen: Anick Pourier (WaZabi Films, Kanada), Colette Aguilar (Moonrise Pictures, Spanien), Sophie Green (Bankside Films, Vereinigtes Königreich), James Fler (Raven Banner Entertainment, Kanada), Patrick Ewald (Epic Pictures Group, USA), Brian Nitzkin (Myriad Pictures, USA), Todd Brown (XYZ Films, Kanada) und Antonio Exacoustos (The Playmaker, ehemals Arri Media International, Deutschland). Das Panel stand unter einem einerseits logischen, anderseits doch sehr komplexen Motto: „Von der Filmfinanzierung bis zum Verkauf. Was sind die Herausforderungen für Filmemacher und wie kann eine Film- und Medienförderinstitution gemeinsam mit Weltvertrieben/Vertriebsfirmen sicherstellen, dass sich ein Film in der aktuellen Situation und darüber hinaus auszahlt?“
Zum Start stelle ich zwei weitere Fragen in den Raum, die beide „Parteien“ möglichst an einen Strang ziehen lassen soll: Wie kann ein Weltvertriebsagent nach der Finanzierung eines Films über verschiedene Kanäle den Verkauf eines Films sicherstellen? Und: Helfen Filmförderorganisationen bei diesem Distributionsprozess? Der von München aus tätige Antonio Exacoustos findet Deutschland für die wünschenswerte Allianz ein „schwieriges Territorium“, da hierzulande kaum internationalen Filmprojekte gefördert würden. Dafür umso mehr deutsche. Und dann sagt er den durchaus provokativen Satz: „Es gibt einfach zu viele deutsche Filme!“ Das sehen seine Kollegen von den Weltvertrieben wie auch die Förderungsanstalten anders. Exacoustos führt weiter aus, dass Arthouse-Produktionen mehr gefördert würden als beispielsweise „Genre-Filme, für die The Playmaker steht“. Wenn fortan auch kommerziellere Projekte eine bessere Förderung erhielten, könnte sich sein Filmvertrieb in zwei Jahren in einer besseren Position befinden.
Todd Brown, der als Ausführender Produzent mit den in Indonesien gedrehten Iko-Uwais-Filmen „The Raid“ (2011, Budget nur 1,1 Millionen US-Dollar!) und „The Raid 2“ die zwei wohl besten Martial-Arts-Filme des neuen Jahrtausends betreute und auch sonst auf nicht gerade zimperliche Genre-Spektakel wie „Blood Quantum“ (2019) oder „Yakuza Princess“ (2021) setzt, obwohl er ein friedfertiger Familienmensch mit Frau, Kindern und Katzen ist, hat einen anderen Ansatz: „Als Produzent und Weltvertrieb muss man sehr fokussiert sein, auf die Fragen: ,Für wen machst du das eigentlich?‘ Wo ist das Publikum jetzt dafür?‘“ Der Markt hätte sich – nicht erst seit der Corona-Pandemie – sehr gewandelt. Streamingdienste würde jetzt das Zepter in der Hand halten. Auch billig produzierte Streifen würden nicht nur einen logistischen, sondern vor allem einen enormen zeitlichen Aufwand benötigen mit Tausenden von Skizzen für Stoyboards. Deswegen spitzt er nochmals das bereits Gesagte zu und nimmt dabei die FilmemacherInnen ins Boot, wenn er sich mit ihnen selbst hinterfragt: „Wo bekomme ich das Publikum für meine Geschichte her? Und: Wie finden sie mich?“ Erst dann sollte man über das Budget reden.
Trotz der veränderten Situation mit der Suche nach anderen Vertriebswegen, in der wir uns im Jahr 2022 befinden, ist Roland Teichmann vom ÖFI „immer noch der Kinostart eines Films enorm wichtig“. Er beschäftigt sich auch mit dem Gedanken, wo und bei wem das Publikum in den Jahren 2023 und 2024, also „hoffentlich nach der Pandemie“ sein wird: „Ich sehe nicht große Unterschiede zwischen Weltvertrieben und Förderanstalten. Wir denken in ähnlicher Weise und ziehen an sich am gleichen Strang.“ Der österreichischen Filmkommission wäre es im Gegensatz zu Antonio Exacoustos Kritik am deutschen Fördersystem sehr wohl daran gelegen, österreichische Produktionen auf internationalen Filmfestivals zu lancieren. „Ansehen“ wäre der erste Schritt dabei, wenn man sie dann auch noch weltweit verkaufen könnte, „umso besser“. Er sieht das relativ entspannt: „Manchmal klappt es, manchmal nicht. Im Filmbereich kann man nicht alles kontrollieren.“ Den Filmemachern würde man bei der Realisierung nicht reinreden. Allerdings gibt er zu: „Wir unterstützen die Vertriebe nicht direkt. Dies sollte der Markt selbst regulieren.“
Für Onke Dumeko aus Südafrika sind wegen der Vergabe von Lizenzen „kreative Langzeiteffekte wichtiger“, als das Schielen auf das schnelle Geld. Sophie Green aus dem Vereinigten Königreich sieht bei geförderten Filmen „ohnehin keine große Gewinnspanne“. Ausnahmen bestätigen natürlich auch hierbei die Regel.
Anick Pourier von WaZabi Films gibt offen zu, was sich viele denken: „Wir wussten nicht, dass die Pandemie kommt und Netflix so zuschlägt!“ Andererseits hätte seinerzeit auch niemand von den Vertrieben geahnt, dass „ein damals 18-jähriges Kid“ wie Xavier Dolan mit seinen sehr persönlichen, häufig autobiografischen Independent-Filmen weltweit eine begeisterte und vor allem treue Anhängerschar etablieren würde. Von vielen Seiten hätte man vorher gehört: „Was er macht ist nicht rentabel.“ Der Glaube an sein künstlerisches Können habe aber bei ihnen im Vordergrund gestanden, der relative kommerzielle Erfolg sei dann ein erfreuliches Nebenprodukt gewesen. Seit 2020 plagen den Weltvertrieb, der felsenfest hinter seinen Filmemachern steht, ganz andere Sorgen: „Wenn du im Filmbusiness ein Millionär werden willst, musst Du ein Milliardär beim Investieren sein!“ Eine „Mission Impossible“ also für Weltvertriebe (und auch Förderungsanstalten)? Nicht für Francesca Accinelli: Telefilm Canada sei bekannt dafür kleine, aber feine Filmprojekte zu finanzieren, die sich weltweiter Anerkennung erfreuen würden.
Da das Panel über 100 FilmemacherInnen online in Echtzeit verfolgen, erlaube ich mir, eine weitere Frage an Vertriebe und Förderer zu stellen: Was tun Sie beide dafür, dass die junge cineastischen Talente nicht nur ihre Filme realisieren können, sondern damit auch etwas Geld verdienen? Pourier formuliert es drastisch: „Wir reißen uns den Hintern für Euch auf, um Euch zu unterstützen!“ Man würde genauso hart arbeiten, damit die Visionen der KünstlerInnen Wirklichkeit würden. Bei aller Dickköpfigkeit, die man haben müsse, um etwas durchzuziehen, sei gegenseitiges Vertrauen enorm wichtig. So sei sie über 20 Jahren im Bereich Weltvertrieb tätig. Sie könne schon einschätzen, ob ein Independent-Film für den Einsatz bei einem Internationalen Filmfestival taugen würde oder ob dies für den SchöpferIn doch noch etwas zu früh käme.
Ob Kunst oder Kommerz – für Antonio Exacoustos sollte in jeder Jury einer Förderungsanstalt mindestens eine Person aus einem Weltvertrieb sitzen, um die Marktfähigkeit besser beurteilen zu können und ob ein reiner Verleih an heimische Kinos in Frage käme oder gleich eine weltweite Auswertung. Lächelnd sagt er: „Bei der JETS Initiative, wo es in erster Linie um das Vorantreiben von Co-Produktionen geht, wird gleich international gedacht“ Ähnlich wie beim Streaming-Giganten Netflix: Der würde viel in Deutschland produzieren, aber vor allem für den weltweiten Markt.
Roland Teichman kann ihn beruhigen: „In unserer fünfköpfigen Jury sitzt immer eine Person aus einem Weltvertrieb.“ „Deswegen sind Eure Filme besser international vermarktbar, als die deutschen.“, lobt er Felix Austria bei gleichzeitigen Tadel an das Land der Dichter und Denker. Stephanie Marschner von HessenFilm will das natürlich stellvertretend für ihre Zunft nicht auf sich sitzen lassen. Das Erarbeiten von gemeinsamen Strategien der Förderungsanstalten und Weltvertriebe „begrüßt“ sie nachdrücklich. Jochen Coldewey gesteht sogar ein, dass in der Jury von nordmedia mehr die „Verleihbarkeit“, als inhaltliche Fragen zu einem Filmprojekt im Vordergrund stehen würden. Dann liegen ja Weltvertriebe und Förderungsanstalten doch gar nicht so weit auseinander, wie von Antonio Exacoustos befürchtet!
Brian Nitzkin aus den USA greift die an sich einfache Frage „Wer ist dein Publikum?“ nochmals auf. Denn manchmal würden die KinobesucherInnen auch einen Film für sich entdecken wie beim renommierten Sundance Festival, dass von keinem Geringeren als Schauspielerlegende (und Gelegenheitsregisseur) Robert Redford ins Leben gerufen wurde. Wenn eine Independent-Produktion da gut ankommt, ist ihr weiterer Weg eigentlich international schon gemacht und die Weltvertriebe können ihn zahlreiche Länder verkaufen. Und dann liegt ihm etwas ganz besonders am Herzen: „“Wenn wir eine Diskussion wie diese, die wir hier gerade führen, schon eher gehabt hätten, wäre das enorm hilfreich für alle Beteiligten gewesen.“ „Fördern und Fordern“, heißt es eben nicht nur bei dem wegen seiner Putin-Treue in Misskredit gefallenen Altkanzler Gerhard Schröder. Während die unsägliche „Hartz IV“-Politik seit dem Regierungswechsel nur wenig reformiert wird, stehen – auch dank JETS – die Chancen gut, dass Weltvertriebe und Förderungsanstalten noch mehr aufeinander zugehen: Vor allem zum Wohl der FilmemacherInnen!
Marc Hairapetian ist Freier Journalist (u.a. Frankfurter Rundschau, junge Welt) sowie seit seinem 16- Lebensjahr Herausgeber des von ihm begründeten Kulturmagazins Spirit – Ein Lächeln im Sturm https://spirit-fanzine.de