Die kanadische Produktion feierte im Rahmen der Französischen Filmwoche auch in Deutschland Premiere. Die Präsentationen in Berlin fanden am 24. und 25. November 2023 statt, während die Premiere in München einen Tag später erfolgte. Regisseur Éric Tessier und Hauptdarsteller Rémy Girard reisten eigens aus Kanada an und zeigten sich erfreut über das rege Interesse an der Geschichte des emeritierten Universitätsprofessors Édouard, der nach und nach sein Gedächtnis verliert.
Auf den ersten Blick scheint sich die gesamte Story um die Alzheimer-Erkrankung des Protagonisten aufzubauen. Édouard hat als ehemaliger Geschichtsprofessor ein ausgezeichnetes Gedächtnis für historische Ereignisse, Zahlen und Fakten. Es ist sein Kurzzeitgedächtnis, das ihn zunehmend im Stich und alltägliche Dinge vergessen lässt, was sich nicht nur auf sein Leben auswirkt, sondern auch auf das seiner Familie. Er weiß bereits nach wenigen Minuten nicht mehr, was er gefrühstückt hat, erkennt seine Frau und seine Tochter seltener und kann ohne Hilfe nicht mehr allein leben. Somit ergeben sich verschiedene familiäre Spannungsfelder, die im Film bearbeitet werden. Wer jedoch genauer hinschaut, entdeckt die zahlreichen Nuancen des Tiefgangs. Dem Regisseur Éric Tessier gelingt es, auf unterschiedlichen Ebenen zu berühren und nicht nur Édouard mit seiner Krankheit in den Fokus zu stellen, sondern alle Beteiligten mit ihren Bedürfnissen und Gefühlen. »Es ging mir nicht darum, das typische Krankheitsbild aufzuzeigen oder den idealen Umgang damit. Vielmehr wollte ich eine andere Perspektive einnehmen und darstellen, wie die Krankheit sämtliche Bereiche des Lebens aus der Balance bringt und wie alle Beteiligten damit umgehen. Édouards Alzheimer ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Er löst Wellen an der Oberfläche aus, die sich immer weiterverbreiten. Diese Wellen stehen sinnbildlich für die Auswirkungen seiner Krankheit für sich und seine Familie«, erklärt Éric Tessier.
Charakterstarke Besetzung
Der Film basiert auf einem Theaterstück des kanadischen Autors François Archambault, dass Éric Tessier durch einen Freund in die Hände fällt und ihn sofort in seinen Bann zieht. Bereits nach wenigen Seiten ist er sich sicher, dass er die Story auf die Leinwand bringen möchte. Der Schauspieler Rémy Girard scheint für ihn die Idealbesetzung der Hauptrolle zu sein, der sich sofort begeistert von dem Plot zeigte. »Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, war ich ergriffen von der berührenden Geschichte und konnte mich auf Anhieb mit Édouard identifizieren. Seine Alzheimer-Erkrankung habe ich dabei als besondere Herausforderung angesehen. In meinem Spiel verarbeite ich auch persönliche Erfahrungen, da sowohl mein Vater als auch meine Großmutter von der Krankheit betroffen waren«, erläutert der Protagonist. Mit Rémy Girard ist eine Besetzung gelungen, der es scheinbar mühelos gelingt, die Tragik der Story mit einer großzügigen Prise Humor zu spielen. »Ich glaube, dass Humor immer ein wichtiger Begleiter im Leben ist. Das möchte ich in meiner Rolle den Zuschauern und Zuschauerinnen des Films mit auf den Weg geben, dass sie nie ihren Sinn für Humor verlieren, unabhängig davon wie schwer sich das Leben gerade anfühlt«, erklärt Rémy Girard. Ein Beispiel hierfür stellt die Szene in einem Restaurant dar. Während eines gemeinsamen Abendessens mit seiner Tochter und ihrem Partner bestellt Édouard eine weitere Flasche Wein. Dass es bereits die dritte ist, kommentiert er folgendermaßen: »Das ist das Gute an meiner Krankheit: Für mich schmeckt jedes Glas Wein wie das erste«. Diese Einstellung zeugt von einer lebensbejahenden und positiven Grundeinstellung, unter den gegebenen Umständen nicht den Blick für das Positive im Leben zu verlieren.
Eine besondere Beziehung
Der Film zeigt mit Édouard und Berenice zwei starke Charaktere, die wohl unterschiedlicher kaum sein könnten. Die junge Frau ist die Tochter seines Schwiegersohnes in spe, die bisher ohne einen konkreten Plan durch das Leben geht. Dennoch oder gerade deswegen verbindet sie eine besondere Beziehung zueinander, die im Verlauf des Films zunehmend an Tiefe gewinnt. Sie sind wie zwei Reisende, die von unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben aufbrechen. Während Édouard sich fragt, was von seinem Leben noch übrig ist, stellt sich für Berenice die Frage, was sie vom Leben eigentlich will. Dabei begegneten sich auch die Schauspieler vom ersten Moment auf einer außergewöhnlichen Ebene. »Der erste Drehtag war gleichzeitig unser erstes Zusammentreffen. Ich war von Anfang an von ihr und ihrem starken Spiel beeindruckt. Diese junge Frau kann so viel Ausstrahlung und Tiefe vermitteln!«, sagt Rémy Girard über seine Schauspielkollegin Karelle Tremblay.
Spiel mit Kontrasten
Éric Tessier spielt mit Kontrasten und verleiht den Figuren auf diese Weise facettenreichen Tiefgang. Außerdem experimentiert er mit Provokationen, die in der Realität vermutlich große Empörung auflösen würde. »Im Film sagt Édouards Ehefrau Madeleine zu ihm, dass sie sich wünscht, er wäre tot, damit das Leid ein Ende hat. Dabei will sie eigentlich nicht seinen Tod, sondern vielmehr die Krankheit aus ihrem Leben verbannen. Da eine die Aussicht auf eine Verbesserung seines Gesundheitszustands jedoch ausgeschlossen ist, eröffnet sich hier ein großer innerer Konflikt zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und Lebensvisionen und den Gefühlen zu ihrem Mann, mit dem sie ihr Leben verbracht hat«, erläutert Éric Tessier. Das Aufbrechen von vermeintlichen gesellschaftlichen Tabus auf der Leinwand ist ein weiterer Aspekt, der die Geschichte so berührend und gleichzeitig einzigartig macht.
Kollektives Alzheimer
Was bleibt von jedem einzelnen von uns übrig, wenn wir gegangen sind? Was geben wir an die nächste Generation weiter? Diese Fragestellungen stellt sich vermutlich jeder von uns mindestens einmal im Leben auf der Suche nach dem Sinn unserer irdischen Existenz. Die Aussicht darauf, in Vergessenheit geraten zu können, erfüllt viele Menschen mit Angst, sodass sie sich an die Erinnerung klammern, wie ein Schiffbrühiger auf offener See an ein Stück Holz. Was passiert jedoch, wenn wir uns an unser eigenes Leben nicht mehr erinnern können? Diese Fragen wirft der Film »Du wirst mich in Erinnerung behalten« auf und regt die Zuschauer und Zuschauerinnen auf bewegende Art und Weise dazu an, sich Gedanken darüber zu machen. Dabei wird der Fokus nicht nur auf den Einzelnen gelegt, sondern auf die die Gesamtheit der Menschen. »Auf einer Metaebene steht Édouards Alzheimer für die kollektive Erkrankung der Gesellschaft. Wir leben alle hauptsächlich im Hier und Jetzt. Die Fülle an Informationen, die täglich, ja sekündlich, auf uns einprasselt ist so groß, dass wir sie gar nicht verarbeiten können. Was machen wir also mit längst Vergangenem? Wir vergessen Vieles«, sagt Éric Tessier. Dieser Film agiert auf so vielen Ebenen, dass er die Zuschauer und Zuschauerinnen auch im Nachhinein noch lange beschäftig.
Jana Volpers, freie Journalistin