Der Gewinner bekommt alles? Bei der schwedischen Pop-Band ABBA mag das anno 1980 so gewesen sein. In der Liebe und im Fußball bis heute mitunter auch. Aber nicht bei der JETS Initiative! Denn hier gibt es erste und zweite Sieger. Und selbst die Bewerber, die es diesmal mit ihren Filmprojekten nicht auf das Podest des Ruhms (und der Förderung) geschafft haben, sind nicht „weg vom Fenster“, können sie doch im nächsten Jahr ihre Wunschprojekte wieder vorstellen und über den bisherigen Entwicklungsstand informieren. Und vielleicht sind dann sie es, die eine Auszeichnung erhalten.
Aufgrund der COVID-19-Pandemie konnte das Event diesmal nur online stattfinden und somit auch die Preisverleihung, in der die Urteile der 17 Jurymitglieder aus acht Ländern vom Ehrengast, der britisch-australischen Schauspielerin, Drehbuchautorin und Produzentin Caroline Goodall (HOOK, SCHINDLER´S LIST, THE BAY OF SILENCE), mit Empathie und Enthusiasmus verkündet wurden. Eine After Show Party wie noch 2020 in der Irischen Botschaft zu Berlin musste diesmal leider ausfallen. Applaus gab es für die Sieger trotzdem von den insgesamt 106 JETS-Teilnehmern, die per Zoom-Video-Meeting zugeschaltet waren. Den inhaltlich wie stilistisch so unterschiedlichen Beiträgen wurde auch in den prägnanten Jury-Begründungen Rechnung getragen: Von der kleinen, aber bewegenden Geschichte, die unbedingt auf der großen Leinwand erzählt werden sollte, über begeisterungsfähige Teams, die ihre Projekte mit echter Hingabe vorstellten, bis zur „hohen Vermarktbarkeit“ von Independent- und Blockbuster-Stoffen herrschte wirklich eine hohe Bandbreite. Im einzelnen sollen nun die JETS-Gewinner 2021 kurz beleuchtet werden:
Kanada
1. SECTION Z, Regisseur: Greg Jeffs, Produzent: Kevin Wallis. JETS-Jury-Begründung: „Das Skript zeigt viel Potential und Markfähigkeit“.
Als SECTION Z, die angesagteste Sendung im Fernsehen, als Betrug entlarvt wird, ist ihr größter Fan Clara am Boden zerstört, bis sie merkt, dass sie die einzige Person ist, die die Gesellschaft tatsächlich vor einer echten Zombie-Invasion retten kann – einer Invasion, die sie unwissentlich verursacht hat.
Die Genre-Komödie über eine „Natural-Born-Zombie-Killerin“ persifliert Sexismus, Kapitalismus und CGI-Technik, die sie selbst benötigt. Diese Selbstironie macht das mit Absicht krude Projekt noch sympathischer. Regisseur Greg Jeffs (Kurzfilm „Zombies und Indians“, 2019) und Produzent Kevin Wallis wollen mit insgesamt 2 Millionen kanadischen Dollar auskommen – inklusive Special Effects und Postproduktion.
2. SALEM´S DIARY, Regisseurin: Leah Rifkin, Produzentin: Sonja Verpoort. JETS-Jury-Begründung: „Independent-Film-Qualität“
Ambrose Sanders hat alles, was ein 18-jähriges Mädchen sich nur wünschen kann: Geld, einen berühmten Vater und einen Platz in einer angesehenen Privatschule. Und sie hat einige – „explosive“ – Geheimnisse. Während alles in ihrem Leben perfekt zu sein scheint, benötigt es nur einen anonymen Ankläger, damit die schöne Fassade in 1000 Scherben zerfällt. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hat der Ankläger eine Agenda, die über die Aufdeckung der Wahrheit hinausgeht. Eine der schlimmsten Anschuldigungen gegen Ambrose – ein Tagebucheintrag, in dem „sie“ zugibt, für den Tod eines anderen Studenten verantwortlich zu sein – ist eine Lüge.
Stolz präsentierten Regisseurin Leah Rifkin und ihre Produzentin Sonja Verpoort einen „letter of interest“ von Warner Bros. Entertainment. Die Figur der Ambrose sehen die zwei jungen Damen als „eine Frau, die sich entscheidet zu kämpfen, egal welche Konsequenzen das hat“.
Deutschland
1. KARLA, Regisseurin Christina Tournatzés, Produzentin Melanie Blocksdorf. JETS-Jury-Begründung: „faszinierendes Drehbuch und sehr marktfähig“.
Die 13-jährige Karla ist Zeugin vor Gericht. Sie erhebt Anklage gegen die Person, die sie am meisten beschützen sollte – ihren Vater. Richter Lamy glaubt ihr. Trotzdem kann er die gegenwärtigen Rechtsregeln nicht befolgen, da Karla nicht in der Lage ist, über die Einzelheiten des sexuellen Missbrauchs zu sprechen. Damit gefährdet sie den für sie positiven Ausgang des Prozesses. Der Kampf vor Gericht wird zum Kampf um ihr Leben. KARLA basiert auf einer wahren Geschichte aus dem Jahr 1962, in der ein Richter neue und vorbildliche Wege der Rechtsanwendung ausprobiert.
Der Pitch war sehr berührend. Man spürte, dass Christina Tournatzés zu mehr als 100 Prozent hinter diesem Projekt steht. Die Verfilmung des Gerichtsverhandlung, der Geschichte schreiben sollte, ist in Zeiten von #MeToo längst überfällig und auch von gesellschaftspolitischer Relevanz. Die Botschaft lautet: Eine mutige junge Frau kann die Welt verändern, wenn jemand hinter ihr steht, in diesem Fall ein Mann, der als mitfühlender Jurist im Wortsinn für Gerechtigkeit eintritt. Doch alles wäre verloren gewesen, hätte der leibliche Vater nicht vor Gericht seine Schuld eingesehen und sich zu seiner Tat bekannt. Ein Stoff von hoher, zeitloser Brisanz. Für Kinder wie Eltern gleichermaßen interessant.
2. BUSH BOYS, Regisseur: Rodney Charles, Produzent: Yasmin Rams. JETS-Jury-Begründung: „sehr kommerziell“.
Zwei voneinander entfremdete nigerianische Brüder müssen nach dem vermeintlichen Selbstmord ihres dritten Bruders nach New Mexico reisen. Als sie feststellen, dass er brutal ermordet wurde, werden sie plötzlich in eine Welt von korrupten Polizisten und Geheimbünden im Süden der USA versetzt. Zusammen mit einer widerspenstigen Gruppe von Freunden aus London, Jamaika und Frankreich haben die Brüder keine andere Wahl, als ihre eigene Gerechtigkeit zu schaffen.
Rodney Charles ist bisher als Schauspieler tätig gewesen. Man denke an den Action-Reißer TEARS OF THE SUN (2003) von Antoine Fuqua. Bei seinem Regiedebüt hat er sich keinen Geringeren als Sergio Leone auserkoren. Die Präsentation von BUSH BOYS vermittelte den Eindruck, als wenn der Meister des Italo-Westerns zusammen mit Quentin Tarantino und Guy Ritchie einen Film machen würde. Für relativ preiswerte 1,5 Millionen Euro könnte man beispielsweise in Südafrika drehen. Reflektierende Helden wider Willen, die nebenbei im gleißenden Sonnenlicht ihr blutiges Handwerk verrichten, um ihren Bruder zu rächen: Das klingt nach intelligent gemachter Action mit hohem Unterhaltsfaktor und Kult-Charakter!
Irland
1. THE SKWOIDS, Regisseur: Ray Sullivan, Produzent: Rob Davies. JETS-Jury-Begründung: „hohe Kommerzialität und eine gute Geschichte“.
In der fernen Welt von Hibernia wartet eine kleine menschliche Kolonie gespannt auf die Ankunft ihrer Familien, doch 24 Stunden vor der Landung des Schiffes infiltriert die einheimische Spezies namens THE SKWOIDS die Basis und tötet jeden Menschen, den sie finden kann. Nur drei Überlebende sind noch übrig: die brillante Ingenieurin Ruth Goodall (nicht zu verwechseln mit Caroline Goodall!), ihr Haustier Tony und ein hartgesottener Soldat namens Rhodes. Sie allein können das ankommende Kolonie-Schiff vor den THE SKWOIDS beschützen.
PREDATOR trifft auf GREMLINS. Basierend auf dem Comic GOOD BUSINESS von Simon Roy plant Animation- und Science-Fiction-Spezialist Ray Sullivan nun die abendfüllende Version seines vierminütigen Kurzfilms aus dem Jahr 2017 mit Amy De Bhrún, Darryl Kinsella und jeder Menge kleiner und großer Skwoids. Was so grausam und auch sarkastisch beginnt, soll mit einer herzerwärmenden Koexistenz zwischen Menschen und Ureinwohnern von Hibernia enden. Gewürzt mit einer tüchtigen Prise britischen, pardon: irischen Humors haben die zahlreichen Kurzfilme von Ray Sullivan bei YouTube insgesamt berets über 50 Millionen Zuschauer zum Gruseln und Schmunzeln gebracht. Sullivan/Davies suchen nach einem Ko-Produktionspartner und drei Millionen Euro für die liebevoll gestalteten Skwoid-Modelle und die Postproduktion.
2. THE LAST WATCH, Regisseur: Sam Uhlemann, Produzentin: Juliane Wothe, JETS-Jury-Begründung: „sehr marktfähig und hohe Kommerzialität“.
Es sind die letzten 48 Stunden in der kleinen, isolierten Polizeistation von Mount Rose, die aufgrund von Kürzungen der Regierung geschlossen werden soll. Mit der Verhaftung eines unschuldigen jungen Mannes in der vorletzten Nacht der Wache und seinem Tod in Polizeigewahrsam werden Fehler gemacht, die die verbleibenden Beamten dazu zwingen, das Gesetz zu brechen, von dem sie schworen, es einzuhalten. THE LAST WATCH ist eine Geschichte darüber, was passieren kann, wenn unser Überleben bedroht ist und wir deswegen gegen unsere grundlegendsten moralischen Überzeugungen verstoßen, indem wir die Gesetze brechen, die uns am Leben erhalten.
Bezüge zur 2013 begründeten transnationalen Bewegung Black Lives Matter (BLM) sind unverkennbar. Nachdem der Afroamerikaner George Floyd im Verlauf einer gewaltsamen Festnahme am 25. Mai 2020 in Minneapolis getötet worden war, und am Folgetag ausgedehnte Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus in zahlreichen anderen Städten in den USA starteten, ist das irische Filmprojekt aktueller denn je. Man benötigt 2,5 Millionen Euro, um es zu realisieren.
Norwegen
1. DARKEST FORREST, Produzentin Lillian Løvseth, Drehbuchautor: Trond Morten Kristensen Venaasen. JETS-Jury-Begründung: „frühe Entwicklungsstadien mit gutem Potenzial“.
Astrid möchte ihr banales Leben ändern und die Karriereleiter erklimmen. Sie macht einen unverzeihlichen Fehler und deswegen wird ihre älteste Tochter entführt. Getrieben von Schuld und Trauer opfert Astrid bei der Suche nach ihrer Tochter im dunkelsten Wald alles, was sie hat. Der einzige, der ihre Qual zu verstehen scheint, ist Aleksander vom Roten Kreuz. Aber Astrid wird bald verstehen, dass Aleksander überhaupt nicht der Retter ist, der er behauptet zu sein.
Der dunkle Wald als Metapher für die Abgründe der menschlichen Seele. Der allegorische Thriller muss nach Ansicht von Lillian Løvseth und Trond Morten Kristensen Venaasen nicht in Norwegen spielen, auch wenn die unvergleichliche, an Mythen und Sagen reiche Landschaftskulisse das hergeben würde. Man würde sich hier auch nach dem Ko-Produktionspartner richten und kalkuliert mit 1 Million Euro. Auch nach einem Verkaufsagenten wird gesucht.
Südafrika
1. THE TREK, Regisseurin Sandulela Asanda, Produzent James C. Williamson. JETS-Jury-Begründung: solides Team, „sehr marktfähige Geschichte“.
THE TREK ist ein Horror-Western, der einer indigenen Familie und ihrem britischen Begleiter auf ihrer gefährlichen Reise durch die Kalahari-Wüste im späten 19. Jahrhundert folgt. Ihnen ist unbekannt, dass das Land von zwei böswilligen Geistern bewacht wird, die eine Wette auf ihr Leben abschließen. Begleitet von einem mysteriösen Khoisan-Fremden leidet die Gruppe in der rauen Wüste an Hunger und Verzweiflung. Doch dem nicht genug verfolgt sie ein schrecklicher, unsichtbar Feind.
Der Pitch wurde mit Szenen-Fotos aus Paul Thomas Andersons THERE WILL BE BLOOD unterlegt. In der fatalistischen Geschichte, die südafrikanische Grusel-Mythen ebenso aufgreift, wie Sexismus und Rassismus, sollen am Ende alle Reisenden umkommen. Den Horror möchte die ambitionierte Regisseurin Sandulela Asanda mit Licht- und Schattenspielen, einem ausgeklügelten Sound-Design und wohldosierten Spezialeffekten kreieren. Mit 800.000 Euro kalkulieren sie und ihr Produzent sehr ökonomisch. Für die Vermittlung eines guten Casting-Agenten wären sie zudem dankbar.
2. ROCKET BOY, Produzenten: Wandile Molebatsi, Lwazi Mvusi, Regisseurin: Natasja De Lange. JETS-Jury-Begründung: „sehr bewegende Geschichte, sehr marktfähig“.
ROCKET BOY ist eine Geschichte eines mathematischen Genies, das dazu bestimmt ist, in den Kohlengruben zu arbeiten. Menzi hat jedoch eine wahrlich feurige Leidenschaft für Raketen und träumt davon, Raketenwissenschaftler zu werden, sehr zur Abneigung seines Vaters. Er kämpft hart gegen das Schicksal und für die winzige Chance, die er hat. Und so entdeckt er eine neue Form von Raketentreibstoff. Menzi bricht alle Ketten, die ihm in der kleinen Bergbaugemeinde aufgelegt wurden, und hat endlich die Freiheit, zu den Sternen zu gehen.
Eine südafrikanische „Coming of Age“-Geschichte im Stil von GOOD WILL HUNTING (man erinnert sich an das grandiose Zusammenspiel von Matt Damon und Robin Williams) schwebt den Machern vor. Im frühen Stadium des Projekts benötigt man lediglich 172.000 Euro.
Vereinigtes Königreich
1. SNOWFLAKES, Regisseurin: Faye Jackson, Produzent: Barrington Paul Robinson. JETS-JURY-Begründung: „basierend auf einer Kurzgeschichte von sehr tragfähiger Internationalität“.
Esther und Miriam werden gewaltsam aus Großbritannien nach Jamaika deportiert, als ein tödliches Virus ausbricht, bei dem man sich gut fühlt und das obendrein nur weiße Menschen tötet. Natürlich sind Esther und Miriam schwarz, also haben sie mitten in einer unmöglichen Situation plötzlich einen Vorteil, und der Direktor der Firma, die sie deportiert, will mit ihnen einen Deal machen: Wenn sie das Antivirus finden, können sie ihre Freiheit zurückgewinnen.
Das Filmprojekt der Stunde über den globalen Lockdown! Aktueller geht es nicht: Black Lives Matter versus COVID-19! Auch für die LGTB-Gemeinde relevant, da eine der Protagonistinnen lesbisch ist. Die andere soll Drogen geklaut haben. Zwei Underdogs retten die Menschheit: Klingt sehr spannend.
2. YEAR OF THE HEART, Regisseurin: Kelly Holmes, Produzent: David Brown, Eoin O´Faolain. JETS-Jury-Begründung: „Potenzial für internationale Anziehungskraft“
Welwyn Garden City, 1968. Wo Nachbarn ihren Rasen mähen und Vorhänge zucken… Da ihr Ehemann fast permanent geschäftlich unterwegs ist, gibt sich eine einsame Vorstadt-Hausfrau einer ehebrecherischen Affäre mit ihrem jungen italienischen Gärtner hin, während ihr Körper „den Wandel“ durchläuft. Sie rebelliert gegen bürgerliche Regeln und entwickelt eine Besessenheit von Organtransplantationen, was dazu führt, dass sich ihre Wechseljahre-Beschwerden verschlimmern, bis sie halluziniert, dass jemand nachts ihre Niere gestohlen hat … Aber halluziniert sie, wenn ihr Geliebter auch ihre Narben sehen kann?
Sehr vielversprechend für Genre- und Arthouse-Fans. Kelly Holmes möchte mit voyeuristischer Kamera eine reife Frau einfangen beziehungsweise ausziehen, Seelenstriptease inklusive.
Wie man liest, ist tatsächlich für jeden Geschmack etwas dabei!. Sehr erfreulich auch, dass zumindest bei der JETS-Initiative Frauen als Filmemacherinnen nicht mehr in der Minderheit sind. The show must go on: Für 2022 bleibt zu hoffen, dass die Preisverleihung wieder physisch stattfindet, denn dann können ale Sieger, ob erste, zweite oder kommende, wieder richtig gemeinsam feiern!
Marc Hairapetian, Gründer und Herausgeber des Kulturmagazins SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM https://spirit-fanzine.de