„60 Jahre und kein bisschen weise“, sang 1975 der deutsch-österreichische Schauspieler Curd Jürgens, der aufgrund seiner stattlichen Statue und kühlen Ausstrahlung von Brigitte Bardot während der Dreharbeiten von Et Dieu… créa la femme (1956) den Spitznamen „normannischer Schrank“ erhielt. Bei Caroline Goodall muss es heißen: „61 Jahre und kein bißchen leise.“ Denn die Muse von Steven Spielberg, die in zwei Meisterwerken von ihm jeweils als Frau des Hauptdarstellers (in Hook war es 1991 Robin Williams, in Schindler´s List 1993 Liam Neeson) mitwirkte, betritt nun im Filmgeschäft neue Pfade und zwar hinter der Kamera: Beim im positiven Sinn altmodischen Mystery-Thriller They Bay of Silence hat sie nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern fungiert auch als Produzentin.
Es ist also nie zu spät für eine Richtungsänderung, einen neuen Aufschwung! Caroline Goodall ist der erste Ehrengast der JETS Initiative, die wegen der Corona-Pandemie 2021 diesmal ausschließlich online stattfindet. Ihre mit Claes Bang, Olga Kurylenko und Brian Cox prominent besetzte Adaption von Lisa St Aubin de Teráns´ 1987 veröffentlichtem Roman steht in bester Tradition von Alfred Hitchcock und Roman Polanski: Für die Inszenierung konnte sie die auf sinnlich-geheimnisvolle Melodramen spezialisierte Niederländerin Paula van der Oest (Academy-Award-Nominierung 2001 in der Kategorie „Bester Ausländischer Film“ für Zus & Zo) gewinnen. The Bay of Silence sieht Caroline Goodall trotz einer starken Olga Kurylenko und subtil eingearbeiteten #MeToo-Bezügen nicht als reinen „Frauen-Film“, weil die Geschichte über den Tod des gemeinsamen Sohnes aus Sicht des lange ahnungslosen Claes Bang erzählt wird. Die aufwändige Independent-Produktion möchte sie den Teilnehmern am zweiten JETS-Tag vorstellen, aber natürlich auch über ihre Verbundenheit mit der wohl international einzigartigen Initiative, die förderungswürdige Filmprojekte bereits vor ihrem Kinostart auszeichnet und den Kontakt von Filmemachern zu Co-Produktionspartnern in anderen Ländern vermittelt, sprechen. Denn die am 13. November 1959 (den Geburtstag teilt sie mit 37 Jahren Differenz übrigens mit dem Wiener Schauspieler-Genie Oskar Werner) in London geborene Tochter eines Verlegers und einer Schriftstellerin, die beide australischer Abstammung sind, weswegen sie auch eine doppelte Staatsangehörigkeit hat, ist auch ein JETS-Kind. Über ihre langjährige Schauspieler-Freundin und JETS-Gewinnerin Shelagh McLeod, die mit Ende 50 trotz Corona ihr im letzten Jahr im Kino gestartetes Regie-Debüt Astronaut (Titelrolle eine weitere Steven-Spielberg-Legende: Richard Dreyfuss) feierte, lernte sie JETS-CEO und WEP-Productions-Gründer William Peschek kennen. Sie ist schon im Vorfeld voll des Lobes über ihn und die Veranstaltung „JETS mag als Junior Entertainment Talent bekannt sein, aber in diesem Geschäft ist das Wort ´Junior´ relativ, da es doch viele Jahre dauert, um unser Handwerk zu perfektionieren. Ich habe großen Respekt vor den Filmemachern der neuen Generation, die mehrere Aufgaben ausführen können und über ein solches technisches Fachwissen verfügen. Wenn ich mir jetzt in meinem Alter einen aus Schreiben, Produzieren und natürlich weiterhin Spielen bestehenden dreifachen Hut aufsetze, muss ich mich gewaltig anstrengen, um sie noch einzuholen.“ Doch sie ist positiv gestimmt:„Geschichtenerzähler kreieren Jobs und regen Fantasien an. Unsere Aufgabe ist es, die besten Geschichten innerhalb der Grenzen dieser Unterhaltungsindustrie zu schreiben, und JETS erkennt dies an. William Peschek hat etwas Außergewöhnliches erreicht, indem er so viele angesehene Jurymitglieder und Sponsoren zusammengebracht hat, die alle offen und bereit sind, JETS-Stories bei der Suche nach einem Zuhause zu helfen.“
Die unvermindert attraktive Blondine, die nach ihrem Studium an der Universität Bristol, das sie im gleichen Jahr wie Drehbuchtor Jeremy Brock (The Last King of Scotland, 2006) mit dem „Bachelor of Arts in Drama and English“ abschloss, Engagements an der renommierten Royal Shakespeare Company (RSC) und dem nicht minder bekannten National Theatre hatte, ist seit 1981 schauspielerisch sehr vielfältig tätig: So steht beispielsweise die warmherzige Rolle der Emilie Schindler in Schindler´s List (1993), die mit ihrem Mann, dem Fabrikant Oskar (Liam Neeson), verbürgter Weise über 1200 Juden vor dem Tod in Konzentrationslagern rettete, ihre bösartige Pilotin Kristel als Gegenspielerin von Sylvester „Sly“ Stallone in dem in den Rocky Mountains spielenden Action-Abenteuer Cliffhanger (ebenfalls 1993) gegenüber. Und so wechseln sich bei ihr bis heute Polit-Thriller wie Opernball (1998, hier war sie die Frau von Heiner Lauterbach!) und Hunter Killer (2018, mit Gerard Butler und Gary Oldman) mit romantischen Komödien (The Princess Diaries, 2001 / The Princess Diaries 2: Royal Engagement, 2004; beide mit Ann Hathaway) oder auf wahren Ereignissen basierenden, außergewöhnlichen Tiergeschichten (A Street Cat Named Bob, 2016) ab.
Als Drehbuchautorin und Produzentin möchte sie sich auch nicht auf bestimmte Stoffe festlegen, hat aber wie bei The Bay of Silence, der schon während der Pandemie in zahlreichen Ländern gezeigt wurde und wohl auch in Deutschland einen Kinostart bekommen wird, wenn sich die Infektionslage weiterhin bessern sollte, gewisse Vorlieben beim Drehbuchschreiben und Produzieren: „Nic Roegs Don´t Look Now und George Sluziers The Vanishing waren wichtige Referenzen für mich. Tief verstörende Filme ohne Spezialeffekte, die sich auf die Performances und ein schleichendes Gefühl der Angst verlassen.´ Sollten die nächsten Projekte von ihr über ähnliche Qualitäten wie The Bay of Silence, dessen Trailer bereits über die wirklich geniale Tagline „The clother to the truth the further he gets from reality“ („Je näher er der Wahrheit kommt, desto weiter entfernt er sich von der Realität“) verfügt, darf man von der zweiten Karriere der Caroline Goodall gewiss noch viel erwarten.
Sie selbst hat nicht nur für sich einen Wunsch, wenn sie über ihre Erwartungshaltung an die JETS Initiative, ja, an die ganze Filmbranche in der für alle Beteiligten nicht gerade einfachen Zeit spricht: „Es ist großartig, so viele Regisseurinnen und Produzentinnen unter den Bewerbern zu sehen. Und natürlich auch so viele Themen. Ich hoffe, dass die Neuausrichtung der Machtstrukturen dank der anhaltenden #MeToo-Bewegung uns hilft, unsere Branche neu zu verdrahten. Von den 84 Projekten, an denen ich gearbeitet habe, wurden 6,5% von Frauen geschrieben. Das ist ein viel zu niedriger Prozentsatz.“ Vor allem ihrem letzten Satz stimme ich zu 100 Prozent auch als Mann zu. Weiterhin viel Erfolg, Caroline Goodall!
Marc Hairapetian, Gründer & Herausgeber des Kulturmagazins SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM https://spirit-fanzine.de