Marc Hairapetian über den Filmkomponisten Daniel Scott: Einblicke in den Entstehungsprozess des Soundtracks von „Troll: Die magische Welt von Trym“

William PeschekNeueste Nachrichten

So mancher Film ist ohne seinen Soundtrack nicht vorstellbar. Man denke an die wahre Zither-Partie von Anton Karas, die das schwarzweiße Licht- und Schattenspiel um einen ominös-glamourösen Penicillin-Schieber namens Harry Lime (kongenial verkörpert von Orson Welles) in der Vier-Sektoren-Stadt des Nachkriegs-Wien von „Der dritte Man“ (Großbritannien 1949) wirkungsvoll musikalisch untermalt. Oder wie Maurice Jarre das frühe elektronische Instrument Ondes Martenot in „Lawrence von Arabien“ (Vereinigtes Königreich 1962) einsetzte, um der gnadenlos niederbrennenden Sonne eine gebieterische Stimme zu geben, wenn Peter O´Toole versucht, einen bei der Durchquerung der Wüste zurückgebliebenen einheimischen Begleiter wiederzufinden. Ja, manchmal ist die Filmmusik sogar der eigentliche Star einer Kinoproduktion. So auch im Fall von „Troll: Die magische Welt von Trym“!

Bei dem im Wortsinn fantasievollen norwegisch-kanadischen Animations-Abenteuer für die ganze Familie, wo Trollprinz Trym nur drei Tage Zeit hat, um seinen zu Stein gewordenen und von der dunklen Präsenz des Waldes des Schwanzes beraubten Vater, König Grom, zu retten, hat Komponist Daniel Scott einen symphonischen Score erschaffen, der die Bilder emotional bestens unterstützt, aber auch ohne Film echten Hörgenuss bietet, wenn er hoffentlich bald auf CD erscheint. Der Einsatz von historischen skandinavischen Instrumenten wie dem norwegischen Bukkehorn, welches aus dem Horn einer Ziege hergestellt wird, verleiht dem Ganzen eine gehörige Portion Lokalkolorit und trotz der Computer generierten Aufnahmen Authentizität.

Absolut unverstellt kommt auch Daniel Scott im Gespräch herüber. Seine Liebe zur (Film-)Musik ist aus jeder Silbe unseres Zoom-Meetings vernehmbar. Während ich diesmal von Hannover zugeschaltet bin, sitzt er in seinem Home Studio in Montreal. Als ich ihm sage, dass das musikalisch Beste bei „Troll: Die magische Welt von Trym“ tatsächlich der Schluss mit der furiosen Abspann-Musik ist, gibt er ehrlich zu: „Es war genau genommen nicht genug Zeit, um ein Originalstück für den Abspann zu erstellen. Also habe ich einfach eine Suite für die Partitur erstellt.“ Aber was für eine! Hier zieht er wirklich alle musikalischen Register vom Volkslied bis zur romantischen Klassik.

Komponiert hat er zwar zu Hause, doch aufgenommen wurde der Score unter seiner Leitung in den Piccolo Studios von Montreal – zum Glück noch vor dem Corona-Zeitalter, dass die ganze Welt in seinen Klauen hält. Wie kam er eigentlich als kanadischer Komponist zu dem (Film-)Stoff der norwegischen Mythologie und Sagenwelt? „Das ist eine interessante Frage. Dies ist eine Koproduktion zwischen Kanada und Norwegen. Die Finanzierung stammt aus verschiedenen Quellen, aber das ursprüngliche Konzept ist von Co-Regisseur Kristian Kamp und Autor Jørn Kolsrud, die beide auch zu den Produzenten gehören. Ich habe die Zwei durch den Montrealer Produzenten Jean Aubert kennen gelernt. Es war ein Langzeitprojekt, das 2005 aus der Taufe gehoben wurde. Ich stieß erst 2016 dazu.“ Hier bewahrheitet sich das deutsche Sprichwort: „Was lange währt, wird endlich gut.“

Der kindgerechte Film basiert wie „Der König der Löwen“ (USA 1994) lose auf Shakespeares „Hamlet“: Trym und seine Gefährten müssen sich auf eine wilde und gefährliche Reise durch das Trollkönigreich Ervod begeben, um das Leben seines Vaters zu retten und das Königreich seinem rechtmäßigen Herrscher zurückzugeben. All das ist bis auf eine kleine Rahmenhandlung mit menschlichen Darstellern in turbulente, atmosphärisch dichte Computer-Bilder gekleidet. Deshalb frage ich Daniel Scott, der Trickserien wie „Walter und Tandoori“ (2010), aber auch der Doku-Reihe „Montreal, mon amour, mon histoire“ (2012 – 2016) seinen musikalischen Stempel aufgedrückt hat: Ist die kompositorische Freiheit bei Animationsfilmen größer als bei Real-Filmen? „Es ist nicht ausschlaggebend, ob es sich um einen Animationsfilm oder Real-Film handelt, was die Partitur komplizierter oder einfacher macht. Es kommt mehr auf den Stil an. ‚Troll: Die magische Welt von Trym‘ ist ein Action-Abenteuerfilm, der im Allgemeinen mehr musikintensive Orchestermusik braucht.“ Ganz bewusst habe er dabei auf den Einsatz jeglicher Elektronik verzichtet, weil es zu der Zeit, wo der Film spielt, ja noch keine Elektrizität gegeben hätte.

Auf Wunsch der beiden Regisseure Kevin Munroe (Kanada) und Kristian Kamp (Norwegen) kreierte er schon vorab eine musikalische Sequenz, „um die Animateure zu animieren!“ Dabei hätte er den „Luxus“ gehabt, genügend Zeit für das Fertigstellen der Partitur und der Musikaufnahmen zu bekommen: „Ich habe jeden Tag ziemlich hart daran gearbeitet. Ich bin sehr organisiert, sehr strukturiert, weil man keine andere Wahl hat, wenn man Aufnahmen mit einem Live-Orchester tätigt. Um eine lange Geschichte, kurz zu machen: Ich benötigte nach dem reinen Komponieren ungefähr dreieinhalb Monate für die Fertigstellung des gesamten Soundtracks.“

Per Hand schreibt der fünffache Gewinner des „Socan Film and television Award

for most internationally performed Quebec composer“ nicht mehr die Noten auf – und am Klavier sitzt er nur noch, wenn er ein Thema spielt. Dafür komponiert er meist direkt auf der Keyboard-Tastatur, nutzt die Sound- und Instrumente-Bibliothek seines Computers, da die Produzenten schon gerne etwas „quasi Fertiges“ hören möchten, bevor es zu den eigentlichen Musikaufnahmen geht: „Die Bibliotheken, die wir heute im Computer haben, ermöglichen es, eine schöne Illusion eines Orchesters zu erzeugen.“

„Troll: Die magische Welt von Trym“ ist auch eine Verbeugung vor dem größten norwegischen Komponisten aller Zeiten: Edvard (Hagerup) Grieg (15. Juni 1843 in Bergen – 4. September 1907 ebenda). So erklingt eine sehr forcierte Variante des ohnehin an Dynamik eigentlich nicht mehr zu überbietenden Stücks „In der Halle des Bergkönigs“ aus der weltberühmten „Peer Gynt“-Schauspielmusik: „Es war eine Bitte von Kristian. Sie baten mich, das Peer Gynt-Stück zu verwenden. Kristian hat es dort eingefügt, um so viel skandinavischen Einfluss in der Partitur zu haben, wie nur möglich. Und als ich dann den bösen Charakter des animierten Grimmer sah, dachte ich mir: ‚Hier passt es perfekt‘“ Für die Musiker in Montreal wurden aus Norwegen extra harmonische Flöten wie die Seljefløyte bestellt. Die Bukkehorn-Spieler flog man allerdings nicht extra ein; sie nahm man separat auf. Daniel Scott, der ein großer Fan des Progressive Rock mit Bands wie Genesis und Yes ist und in seinen musikalischen Anfängen bei reinen Cover-Bands Gitarrist war, spielte für den Soundtrack selbst auf der Ukulele.

Er dirigierte auch bei den Aufnahmen zum Soundtrack die Musiker, was für ihn ein „riesiges Privileg“ gewesen wäre, da viele von ihnen im renommierten Orchestre symphonique de Montréal (OSM) spielen. Auf Tour möchte er als Dirigent seiner Filmmusiken allerdings nicht gehen: „Ich bin eine Studioratte. Hinter den Kulissen ist mein Platz. Dort fühle ich mich wohl. Nicht vor dem  großen Publikum.“ Dabei war das nicht immer so: Als Kind sammelte er schauspielerische Erfahrungen für das kanadische Fernsehen, vor allem bei Werbespots, „die allerdings auch alle in Studios aufgenommen wurden und nicht vor Live-Zuschauern“, wie er lachend bekennt.

Als ich auf seine musikalischen Vorbilder zu sprechen komme, sprudelt es förmlich aus ihm heraus: „Es ist vielleicht nicht originell, aber John Williams steht definitiv ganz oben auf meiner Liste. Ich bin mit seiner Arbeit aufgewachsen und seine Musiken zu den Filmen von Steven Spielberg und George Lucas wie ‚Indiana Jones‘, ‚Star Wars’  oder ‚E.T. – Der Außerirdische‘ sind Teil meines Erwachsenwerdens und sehr nah an meinem Ohr. Als ich ein Kind war, hörte ich fasziniert die Musik zu ‚Bugs Bunny‘ von Carl Stalling und ‚Tom und Jerry‘ von Scott Bradley. Diese Komponisten haben mich wohl unbewusstes inspiriert. Ich wusste das natürlich noch nicht, als ich klein war.“ Seine Mutter war Pianistin und sein Vater ein Komponist für Werbespots. Das Talent wurde Daniel Scott also bereits in die Wiege gelegt. Und deswegen ist es irgendwie logisch, dass seine ersten Kompositionen TV- und Werbe-Jingles waren. Das musikalische Geschichten erzählen ist ihm sehr wichtig ist „und die Zusammenarbeit mit dem Stab, um gemeinsam einen Film zu machen“. Deshalb habe er einen Traumberuf: „Da war niemals ein ‚Plan B‘!“

Daniel Scott ist nicht nur jemand, der Fragen sehr präzise beantwortet, er kann auch gut zuhören: Als ich ihm von meiner Freundschaft zum 2009 verstorbenen dreifachen Oscar-Gewinner Maurice Jarre („Lawrence von Arabien“, 1963; „Doktor Shiwago“, 1966; „Reise nach Indien“, 1984) oder meinem Besuch bei dem im letzten Jahr ebenfalls verstorbenen Ennio Morricone  in Rom erzähle, beginnen seine Augen zu leuchten: „Du hast viel mehr Ahnung vom Filmmusik als ich“, sagt er mit kanadischem Understatement.  Angesprochen auf seine Lieblings-Soundtracks muss er nicht lange überlegen: „‚Lawrence von Arabien‘ ist einer der besten Soundtracks, die je komponiert wurden! Außerdem nenne ich noch ‚The Untouchables‘ von Ennio Morricone, den sehr außergewöhnlichen Jazz-Score zu ‚Catch Me If You Can‘ von John Williams, dessen Arbeiten zu den ersten drei ‚Harry Potter‘-Filmen, die auch meine Kinder heiß und innig lieben, und Joe Hisaishis ‚Prinzessin Mononoke‘.“ Hier schließt sich der Kreis zu „Troll: Eine magische Welt von Trym“, denn „Prinzessin Monokoke“ war der erste Anime, bei dem Cel Shading eingesetzt wurde: Die Anfertigung von Animationen mit 3D-Computeranimation, die dann so gerendert wird, dass sie wie 2D-Animation aussieht.

Möchte bei so viel Talent Daniel Scott nachdem von der Auftragslage schwierigen 2021 („Dagegen war 2020 trotz Corona Gold, weil viele Filme zuvor bereits abgedreht waren und nur noch musikalisch vertont werden mussten!“) nun nicht auch Hollywood erobern? „Um ehrlich zu sein, ich fange gerade erst damit an und ‚Troll: Die magische Welt von Trym‘ könnte der Start meiner Karriere dort sein.’ Hilfreich ist hierbei sicherlich, dass sein Landsmann, Regisseur Kevin Munroe, bereits in Los Angeles lebt… 

Eine Stunde Fachsimpelei mit Daniel Scott ist schnell verflogen. Schelmisch lächelt er wie einer der liebeswerten Trolls aus dem Film und bekennt: „Wir könnten wahrscheinlich ewig darüber reden!“ Fortsetzung folgt garantiert!

Marc Hairapetian ist seit 1984 Gründer und Herausgeber des Kulturmagazins Spirit – Ein Lächeln im Sturm https://spirit-fanzine.de.

Sehen Sie sich das ganze Videointerview „The Spirit meets Daniel Scott“ an: https://www.youtube.com/watch?v=6M7dfCMLR2U